Kriegsende im Nord-Médoc 09

Autor: Erwin Kindsgrab

Inhaltsübersicht
Verlegung nach Pin Sec

 

carte

Mitte Mai wird ein Kommando von 202 Mann zusammengestellt. Am Spätabend ist Abmarsch mit den heiligen Besitztümern, Konservendose, alter Sack, halbe Decke, da und dort Zeltbahn, geschnitzter Löffel. Ziel wird nicht genannt. Französische Zivilisten mit Gewehr, teilweise Koppel und altem Stahlhelm bewachen den Konvoi. Ich muss vorne beim Anführer der Wache marschieren, da ich einige Worte französisch verstehe. Durchmarsch während der Nacht. Rätselraten, was mit uns geschieht. Nichts zu essen. Am Morgen Rast auf dem Marktplatz in einem französischen Dorf. Die Bevölkerung umsteht uns. Selbst der Curé beteiligt sich an den Ausfälligkeiten. (Ich habe das Dorf aus der Erinnerung auch bei meinen späteren Frankreichbesuchen nicht wiederfinden können.) Beim Weitermarsch bestätigt sich die Befürchtung: Wir kommen ins Minengebiet von Pin Sec.

La prison

Ein noch einigermaßen festes, ebenerdiges Gebäude steht auf einem Gelände etwa 1km von den Dünen, umgeben von eingezäuntem Minen- und Pinienwald. Dort zieht die Wachmannschaft und der Déminage-Chef ein. Eine Ruine, ohne Fenster, wird zum Revier gemacht. Ein deutscher Oberstabsarzt ist aus einem Offizierslager gekommen. Ich soll auch in der Ruine wohnen.

Die Entminung wird durch die Bordeaux-er Firma Bouttelier u. Moen mit Hilfe von Déminage-Chefs und Wachpersonal in Zivil vorgenommen. Zugeteilt ist ein Berufssoldat als Verbindungsglied (Sergeant beheimatet aus Pau), der die korrekte Abwicklung zwischen Zivil und Soldat beeinflussen soll.

Die Gruppe wird aufgefordert mit Verlockung zukünftig besserer und ausreichender Verpflegung sich freiwillig zur Entminung zu melden. Außerdem können diese Freiwilligen in der einzigen Baracke wohnen. Es melden sich etwa 30 Mann. Der Rest weigert sich und wird auf Hunger gesetzt. In den nächsten Wochen wandern weitere Freiwillige rüber in die Baracke. Sie tragen einen Armstreifen „démineur volontaire“. Der Rest wird nach einer gewissen Zeit – eine weitere Baracke wird aufgebaut – zur Entminung eingesetzt und der anfängliche Sonderbonbon, manchmal in Form einer Dose Ölsardinen, kommt in Fortfall. Ich muss den Dolmetscher spielen.

Pin Sec, 24. Juli 45

4 Wochen sind wir jetzt in dieser Sandeinsiedelei … umgeben von Stacheldraht und dahinter der Tod – Minen! Und das ist unsere Arbeit! Wie lange mag sie dauern? 2 Jahre? ... Eine solche Spanne ist unvorstellbar … Ich habe eine kleine Gefangenenpresse eingerichtet. Was mir an französischen Zeitungen in die Hände fällt, übersetze ich und hänge es ans schwarze Brett: Churchill war vor einer Woche südlich von uns an der baskischen Küste, um eine Ruhepause einzulegen. In Berlin sitzt man zusammen: Truman, Churchill, Stalin. Was man liest, besagt nichts; nur Allgemeingültiges am Rande: Truman spielt Stalin eine Sonate von Beethoven auf dem Klavier vor, sonst nur, dass die Drei einen gesunden Frieden mit nach Hause bringen wollen.

Pin Sec, 27. Juli 1945

Ich habe gestern meinen nackten Körper im Spiegel betrachtet. Oh, Schreck!

Die Franzosen hatten von Montalivet einen übergroßen Spiegel mitgebracht, um ihn als Toilettenhelfer ins Lager zu bringen…Ich sollte mich im Adamskostüm waschen. Ich musste die Seife wieder hinlegen, als ich die lange, dürre Gestalt im Spiegel sah. Ich musste noch einmal hinsehen. Das ist ja kaum möglich: das kannst doch nicht du sein? Dies magere Gerippe, dem alle Knochen eckig vorstehen! ... Jede Rippe ist einzeln zu zählen, die Beckenknochen stehen ... erschaudernd anzusehen – vor. Wie der gezackte Grat hoher Felsen. Die großen knöchrigen Hände an den herabbaumelden Armen machen das Spiegelbild zu einer Leidensfigur, die von dem primitivsten aller Leiden heimgesucht ist: dem Hunger. Das Gesicht ist schmal. Das Fleisch an den Backen ist verschwunden. Nur die zwei unwirklich, übernatürlich großen Augen glotzen aus dem blassen Gesicht ... Und wie vielen solcher Gestalten verwehrt die Mutter Erde, die so reich ist, alles Kriechende auf ihr zu ernähren, das kärgste zum Leben? Wieviel mögen es jetzt, zu dieser Stunde, sein, die noch schlimmer aussehen als ich? ... Mein Fuß bessert sich nicht. Der Körper bringt nicht genug Abwehr- und Heilkräfte auf ... Ich spare den Tag Kalorien durch Schlafen. Manchmal muss ich raus, wie gestern, als ein franz. Oberst hier im Lager war…Ich habe ihm einige Fragen beantworten müssen. Der „rote Jacques“ stand dicht daneben, damit ich auch nicht zu viel sage. Er ändert aber sicher nichts an unserem Schicksal.

2. August 45

Mein Magen knurrt. Mein Kopf brummt. Fieber hat mich ganz schwach gemacht. Ich kann mich kaum noch hochhalten. Es fehlt am Essen. Mittag - ½ Kochgeschirr voll und abends 200gr Brot; das ist nicht viel ... Oh, es darf nicht einmal eine Seuche unter uns Ausgemergelten ausbrechen ... Einige Illustrierte hat mir der „rote Jacques“ geliehen. Es steht nichts Aufmunterndes für uns Gefangene drin ... Es wird allabendlich angetreten und durchgezählt, ob auch keiner fehlt ... Wir haben 40gr Machorka bekommen, Zeitungspapier abgerissen, schönster blauer Dunst bei mir in der Bude … Die Konferenz von Potsdam ist seit gestern beendet ... Ich habe übersetzt, auf welcher Basis der Weltfrieden gemacht werden soll, und ans Brett geheftet.

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aus seinem Kriegsbericht zum Ende der Festung Gironde Süd; der Text satmmt aus eines unebkannten Quelle und ist auch nicht vollständig. Für genauere Informationen dazu wären wir dankbar! Für die Wiedergabe in Médoc acif wurde er leicht gekürzt.