Kriegsende im Nord-Médoc 08

Autor: Erwin Kindsgrab

Inhaltsübersicht
In Gefangenschaft

 

carte

Das Schicksal der Menschen in der Festung ist mit dem Tag der Befreiung nicht beendet. Zur letztendlichen Würdigung aller Ereignisse gehört das weitere Schicksal der Deutschen in Gefangenschaft dazu. Um diesen Ablauf, soweit ich persönlich dabei war, präzise in die stimmungsmäßige Landschaft jener ersten Nachkriegstage zu setzen, halte ich es für richtig, um Ihren Studien den Charakter echter Zeugenschaft zu geben, dass ich nunmehr auszugweise dazu meine Aufzeichnungen aus dem durchgebrachten Tagebuch benutze (in kursiv):

Gefangennahme

Nach der Gefangennahme werden wir auf eine kleine Wiese vor dem ehemaligen Revier gelegt (St. Vivien). Neger aus Somali bewachen uns. Der Haufen wächst in den nächsten Tagen auf einige hundert. Nur selten hat jemand eine Decke oder Mantel. Wir liegen hier, wie man uns gefangen nahm. Um das nötigste beraubt. Uhren, Ringe, Geld, Briefe, ja selbst das Taschentuch, alles weg! Einige haben keine Schuhe mehr…Wir liegen in der Sonne. Kein Schutz gegen die sengende Sonne. Mich puhlt man nach der Vernehmung raus. Muss 10cm vor der grünen Barackenwand stehen und in die Sonne gucken. Ein Somali hält mir das Bajonett ins Kinn. Was habe ich verbrochen? Weil ich Sperrpunktkommandant war? Nachts muss sich alles hinlegen unter den kalten Himmel, dicht zusammengedrängt. Kopf auf Backstein. Verpflegung gibt’s nicht die ersten Tage. Die Sonne dörrt aus, schafft Sucht nach Wasser. Literweise Wasser in den leeren Magen, Durst wird nicht gelöscht. Und nachts die Blase voll Flüssigkeit. Aufrichten, sich bewegen, umdrehen bei Tod verboten; ein MG schießt bei Bewegung über die Köpfe. Man muss da, wo man liegt, sein Geschäft verrichten.

Etwa 5 Tage später Verlegung von ca. 600 Mann auf den Sportplatz von St. Vivien:

Kein Kochgeschirr, kein Löffel. Die erste Dörrgemüsesuppe wird verteilt und 2 Schachteln Knäckebrot. Jetzt können wir jedenfalls zum Pinkeln in einen Bombentrichter. Fünf bis zehn Mal macht man in der Nacht von dieser Erleichterung Gebrauch…Die ersten Zelte entstehen. Die eine Zeltbahn haben, tun sich zusammen, bauen ein Zelt. Die ersten Requisitionskommandos können zu den ehemaligen deutschen Einheitsstellen und Sperrpunkten, um Bretter, Decken, Balken, Mais, Saubohnen usw. zu holen…Ganz allmählich buddelt sich alles ein, Bretter über’n Kopf, verschwindet unter der Erde. Ich organisiere mehrere Fuhren Holz und baue mit 15 Mann von meinen Leuten eine drei-etagische Unterkunft. Wie die Heringe einfach auf den Holzboden. Hart, aber man fühlt sich schon glücklich, nur ein Dach über dem Kopf zu haben … Die ersten Läuse stellen sich ein, sind nicht wieder zu vertreiben. Morgentoilette besteht im Läuseknacken…Wasser, Seife gibt’s nicht. Der Bart wächst … Die Franzosen erzählen: Führer Tot; Krieg zu ende! ... Schießen aus allen Waffen in die Luft … Verpflegung fast nichts…Wenig Dörrgemüse aus den deutschen Beständen, wenigstens warm ...

Ich werde zu einem Arbeitskommando mit 15 Mann vom Sperrpunkt 7 abgeteilt. Eine Zivilfirma soll die gesprengte Brücke von St. Vivien-Jau provisorisch wiederaufbauen. Wir sollen helfen und ich soll zeigen, wo die Minen liegen. Hier merke ich bei meinem ersten Kontakt mit den Franzosen, dass etwas vom Schulfranzösisch hängen geblieben ist. Ich verstehe manches, was man von uns will. So muss ich radebrechend dolmetschen, so gut es geht. Aber das Wichtigste ist, die französischen Arbeiter geben uns von ihrem Essen ab. Wir können manchmal eine Zigarette drehen und wir können im Kanal baden.

Man bringt uns Läusepulver. Die Läuse werden erst richtig verrückt, kribbeln noch mehr, gehen aber nicht weg … Man hat uns kahlgeschoren. Ich glaube, bei dieser Prozedur hat es Tränen gegeben. Wie mögen wir aussehen? Die Gesichter braungebrannt – darüber glänzt es völlig weiß, wie neu geboren, ein glattrasierter Pfaffenschädel. Macht den Eindruck, als wenn wir nicht alle beisammen hätten. Ein eindeutiges Zeichen: Ihr seid aus der Gesellschaft ausgestoßen … Ich trage dieses Treten der Menschenwürde mit Humor beim Gedanken: das scheinbar Unvermeidliche kommt der Gesundheit zugute; desto gesünder werden sie später wachsen – wenn sie noch dazu kommen!

weiterlesen

aus seinem Kriegsbericht zum Ende der Festung Gironde Süd; der Text satmmt aus eines unebkannten Quelle und ist auch nicht vollständig. Für genauere Informationen dazu wären wir dankbar! Für die Wiedergabe in Médoc acif wurde er leicht gekürzt.