Saint Vivien de Médoc unter deutscher Besatzung
Die Union Nationale des Combattants de Saint Vivien de Médoc - Nord Médoc, feiert 2022 den hundertsten Jahrestag ihrer Gründung. Dass sie heute noch präsent ist und wie 1922 80 Mitglieder hat, liegt daran, dass ihr sozialer Nutzen und ihre Bedeutung für die Erinnerung einhellig anerkannt werden. Ihre Stärke besteht darin, dass sie alle Personen, ob Veteranen oder Nichtveteranen, die an der Weitergabe der Erinnerung in ihrer ganzen Bandbreite teilnehmen möchten, willkommen heißt.
Die UNC von Saint Vivien de Médoc hat 2011 eine Website eingerichtet. Über dieses Kommunikations- und Informationsinstrument erhielt sie mehrere Anfragen zu Ereignissen, die sich zwischen 1940 und 1945 in Saint Vivien ereignet haben. Die Fragen erforderten einige Nachforschungen, da es für uns undenkbar war, sie nicht zu beantworten.
Um dies zu erreichen, führten wir Ermittlungen nach den Grundsätzen einer polizeilichen Untersuchung durch. Wir suchten nach Zeugen, sammelten Informationen und stellten Querverweise her; wir konsultierten Militärarchive (französische und deutsche), Départementsarchive (Bordeaux, Metz) und lokale Archive. (Bordeaux, St Vivien, Talais). Wir haben die lokale Presse der damaligen Zeit (Bibliothek in Bordeaux) konsultiert, ohne die Literatur über die Befreiung des Médoc sowie zahlreiche und verschiedene Internetseiten auszulassen.
Die erste Anfrage im Jahr 2017 betraf die Verhaftung von Henri Lagarde, Landwirt auf der Domaine de Darrieux in Saint Vivien, der 1944 bei der Deportation ums Leben gekommen war. Anhand französischer und deutscher Archive konnten die Ursachen und Umstände seiner Verhaftung ermittelt werden. Das Gedenkbuch der Deportierten (http://www.bddm.org/liv/index_liv.php) erleichterte die Rekonstruktion seiner Verlegung vom Fort du Hâ in Bordeaux in das Lager Gros Rosen (Polen), wo er starb.
Die zweite Anfrage im Jahr 2019 bestand darin, im Rahmen des Gedenkwettbewerbs der Maginot-Stiftung 10 Schüler des Berufsgymnasiums von Reignac (33) zu organisieren und zu empfangen, um ein Treffen mit Zeitzeugen zu veranstalten, die die Ankunft der Besatzungstruppen im Juni 1940 erlebt hatten. Es war ein schöner Tag des Austauschs und der Sammlung von Zeugnissen über Geschichten, die in Paris, Lyon, Bordeaux, aber auch in Saint Vivien und Talais erlebt wurden. Dieses Treffen fand im Ehpad "Le repos du marin" in Soulac statt.
Die dritte Anfrage wurde 2019 von den Enkeln von Jean-Abel Paul (aus Talais) gestellt, die nach Informationen über den Tod eines deutschen Soldaten suchten, den Jean-Abel Paul angeblich verursacht hatte. Wir nahmen Kontakt zu Einwohnern von Talais und St. Vivien auf, mit den Gemeindeämtern von Talais, St Vivien und Lesparre sowie dem französischen Militärarchiv in Caen und dem deutschen Militärarchiv. Diese verschiedenen Quellen haben uns verholfen, die Fakten zu rekonstruieren und sie zeitlich einzuordnen. Es handelte sich um einen Unfall, an dem drei junge Männer aus Talais und eine deutsche Patrouille beteiligt waren. Die Soldaten, die zu viel lokalen Wein getrunken hatten, stießen mit den drei jungen Radfahrern zusammen, wobei ein Soldat stürzte und einige Minuten später starb. Jean-Abel Paul wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Seine Strafe wurde im Fort du Hâ in Bordeaux vollstreckt.
Im Jahr 2019 bat uns die Stadtverwaltung von St. Vivien um Auskunft über die Existenz eines polnischen Soldaten, der im Juni 1940 in St. Vivien verstorben war. Dank der Aussagen von Einwohnern von St. Vivien konnten wir herausfinden, warum eine Kompanie polnischer Soldaten in St. Vivien stationiert war und wo der Soldat im Ortsteil La Séougue beerdigt wurde. Die Militärarchive in Caen und Metz gaben Aufschluss über die Umstände und identifizierten den Verstorbenen, bei dem es sich um einen jungen Unterleutnant der polnischen Armee handelte. Der Leichnam verließ den Friedhof von Saint Vivien zwischen 1956 und ... Es war uns jedoch nicht möglich, seinen Bestimmungsort zu erfahren. Die polnische Botschaft in Frankreich und das polnische Konsulat in Lyon antworteten nicht auf unsere Nachfragen.
Bei unseren Nachforschungen stießen wir auf der Website von "Médoc Actif" auf einen Artikel: "Quelques souvenirs de l'occupation 1940-1945 par Jean-Paul Lescorce", in dem es heißt, dass sein Großvater, der sich geweigert hatte, Saint Vivien zu evakuieren, Tag für Tag aufgeschrieben hatte, was passiert war, und dass dieses Dokument Teil seiner Privatsammlung war. Jean-Paul Lescorce, war so freundlich, uns das Notizbuch seines Großvaters Gabriel Gauthier zu leihen und uns zu erlauben, es für unsere Zeitzeugen-Dokument abzuschreiben. Der Inhalt dieses Notizbuchs war der eigentliche Auslöser, dieses Buch zu machen, da uns klar wurde, dass wir dieses Dokument bekannt machen müssen, da es zur Lokalgeschichte von St Vivien gehört.
Im Gemeindearchiv von St. Vivien hatten wir Zugang zu den Entscheidungen des Gemeinderats während dieser Zeit, aber auch zu Dokumenten, die es uns ermöglichten, die in St. Vivien aufgenommenen Flüchtlinge aus der Stadt Longwy zu erfassen, sowie den Ort, an dem sie in St. Vivien untergebracht waren.
Auf der Website von "Médoc Actif" haben wir zwei Berichte von deutschen Gefangenen entdeckt. Der eine hatte im "Château Dillemann" in St. Vivien gearbeitet, der andere war Unteroffizier auf dem Schiff Z 24 des Bataillons Narvik. "Médoc Actif" ermöglichte es uns, diese Erlebnisberichte mit aufzunehmen, die einen Einblick in die Situation aus der Sicht der deutschen Gefangenen geben.
2022 Jean-Emile Le Dorven / Guy Tauzier (Saint Vivien)