Leute

Der Jahrhundertsturm, Fortsetzung:

 

Nun versucht man der großen Probleme Herr zu werden. Die Regierung ruft für das betroffene Gebiet den Notstand aus. Das Rote Kreuz, Feuerwehr und Militär werden eingesetzt. Die Menschen geben ihre ganze Kraft, um Hilfe zu leisten und die größte Not zu lindem. Gott sei dank haben wir in Bordeaux ab dem 3. Januar wieder Strom und Telefon. Dennoch lagen manche Häuser bis zu einem Meter unter Wasser, und wenn das Wasser abgeflossen war, blieben Schlamm und Dreck zurück. Wohnwagen von Dörfern, die nicht so gelitten hatten, wurden beschlagnahmt, um die Menschen nach der Katastrophe zunächst mal unterzubringen. Sportvereinigungen stellten Matratzen und Decken zur Verfügung. Bei uns im Dorf wurde ein kleiner Saal, der höher lag, als Notküche und Kantine umfunktioniert, um die Leute beköstigen zu können. Jeden Mittag und Abend wurden warmes Essen verteilt. Die Armee hilft in den von der Überschwemmung betroffenen Ortschaften, die Häuser zu reinigen, so dass die Geschädigten wieder Hoffnung schöpfen können, in absehbarer Zeit in ihre gewohnte Unterkunft zurückkehren zu können. In der Schule, dessen Leiterin meine Tochter ist, wurde mit Hilfe der Heilsarmee versucht, Schlamm und Dreck aus den Schulräumen zu beseitigen. Das war keine leichte Arbeit für die Helfer. Mit Lastwagen transportierten sie allein hier 2 Tage lang das angeschwemmte Gehölz vom Schulhof. Esssaal und Küche, in der die Schulkinder mittags beköstigt wurden, waren vollständig zerstört. Alle elektrischen Maschinen, Computer, in den von der Überschwemmung betroffenen Schulräumen waren unbrauchbar geworden und mussten erneuert werden. Beide Autos der Familie meiner Tochter waren restlos demoliert.

Unvorstellbar auch, was am Meeresstrand alles angeschwemmt wurde. Wer den Strand vor dem April 2000 nicht gesehen hat, kann sich das Durcheinander nicht vorstellen. Doch Dank sei dem Herrgott, dass niemand verletzt oder krank wurde. Trotzdem ist es schwer, das Ganze zu verdauen. Doch wenn man Hilfe sieht - diese kam nach zwei Tagen und traf am 2. Januar ein - so schöpft man neuen Mut. Das Schlimmste ist, wenn man glaubt, in solch einer Situation verlassen zu sein. Dank sei allen willigen Helfern.

Das Militär kam und löste die anderen freiwilligen Helfer ab. Die Leute waren restlos übermüdet, ein paar hatten hohes Fieber, was trotz des noch sauberen Trinkwassers durch den Aufenthalt in ständiger Feuchtigkeit ohne Licht und Heizung verursacht wurde. Selbst hochgestellte Persönlichkeiten wie der Minister, Polizeipräsident und Bürgermeister von Bordeaux kamen zu uns und versprachen sofortige Hilfe. Diese ließ ausnahmsweise mal nicht lange auf sich warten, so dass man den Herren nicht wie sonst üblich unterstellen konnte, nur mit leeren Worten Selbstdarstellung zu betreiben.

Nach drei Tagen kamen dann auch Abdecker, um das ertrunkene Vieh abzutransportieren. lm Wasser schwammen ja mittlerweile hunderte von Tierleichen. Tags darauf trafen noch 60 Soldaten ein, die mit halfen, Straßen und Gärten von umgefallenen Bäumen zu befreien. In den Häusern waren Feuerwehrleute unterwegs, die voll gelaufenen Keller auszupumpen und soweit wie möglich die Bewohnbarkeit der Häuser von den armen durch die Katastrophe Betroffenen zu sichern.

Von überall her kommen Spenden an Kleidung und Haushaltsgeräten, die von der Bürgermeisterei verteilt werden. Leider fehlten immer wieder bestimmte Kleidergrößen. Speziell für stattliche Frauen fehlen die Größen 56 - 58, als gäbe es keine großen Frauen, die alles verloren haben. Es soll jedoch auch für dieses Problem Abhilfe geschaffen werden. Um die allgemeine Gefühlslage zu beschreiben, kann man sagen, dass sich die Menschen alles in allem fühlten, wie nach einem Bombenangriff.

Trotz aller Bemühungen konnte die Schule, an der meine Tochter unterrichtete, nicht sofort geöffnet werden. Die Wände waren noch nicht abgetrocknet und enthielten noch viel Feuchtig-keit, obwohl die Heizung mittlerweile wieder in Gang gebracht worden war. Außerdem stand die Prüfung durch das Gesundheitsamt noch aus. Nachbargemeinden, die nicht unter dem Hochwasser gelitten hatten, nahmen die Kinder mit Lehrern auf. Eine schwierige Aufgabe war es für meine Tochter als Leiterin der Schule, dies alles mit zu organisieren. Neben Zufriedenen gab es auch viele, die mit den getroffenen Maßnahmen unzufrieden waren. Es ist sehr schwer, es allen Recht machen zu wollen. Ich selber sehe meine Tochter in dieser Zeit selten, da sie im Bürgermeisteramt eingesetzt wird.

Für viele Menschen in Bordeaux und Umgebung müssen Lebensmittel herangeschafft werden. Aus den vom Unglück verschonten Orten bringt man Brot und Frischfleisch, um die hungrigen Mäuler zufrieden zu stellen. Bis gestern waren noch ausreichend Dosen vorhanden. Dann gab es auch hier Engpässe, die jedoch bis morgen früh wieder behoben sein sollen.

Nach dem Ablaufen des Hochwassers kommt jetzt noch die Rattenplage hinzu. Die Stadt Bordeaux hat bereits lastwagenweise Gift vorbereitet, um dieser Gefahr abzuhelfen. Langsam wird alles wieder ans Laufen kommen. Es ist eine schwierige Aufgabe für alle Beteiligten. Doch das Leben geht weiter ob gut oder schlecht, man hat das Beste aus allem Elend herauszuholen und darf auf keinen Fall die Hoffnung aufgeben, denn nach Regen kommt bekanntlich wieder Sonnenschein. Wir haben jetzt den 14. Januar 2000 und die Sonne scheint wieder. Seit Montag dem 10. Januar ist die Schule wieder geöffnet. 160 Kinder sind im Schulhof. Welch eine Freude, die allen Kummer vergessen lässt. Von allen Seiten hatte man uns Hilfe gewährt. Alle Kinder bekamen neue Schulranzen und warme Kleidung. Das war auch notwendig, denn die meisten hatten ihre ganze Habe verloren. Außer zwei konnten alle Schulklassen ihre Unterrichtsräume benutzen. Für rund 50 Kinder des jüngsten Jahrgangs wurde der Schulbesuch verschoben - die Einschulung erfolgt in Frankreich bereits im Kindergartenalter von 2 Jahren und 7 Monaten. Dies alles musste natürlich organisiert werden. Was meiner Tochter Anni als Leiterin der Schule auch gut gelang.

Nur die Küche und der Esssaal waren noch nicht fertig geworden. Alle Einrichtungen waren durch den 1,60 m hohen Wasserstand zerstört. Außerdem fehlten Lesebücher, Schreibhefte, Farbstifte, besonders in den kleinen Klassen mit den Jahrgängen von 3 bis 5 Jahren, deren Unterrichtsräume in dem Untergeschoss des Schulgebäudes besonders in Mitleidenschaft gezogen worden waren.

Doch durch Sammlungen in den Nachbarorten und neuen Lieferungen von kleinen Stühlen und Tischen seitens des Staates, wurde auch dieser Mangel behoben. Doch war es für alle Helfer keine leichte Arbeit, bis alles wieder an seinem Platz stand und die Lehrer wieder den gewohnten Unterricht aufnehmen konnten. Alle städtischen Angestellten waren nunmehr wochenlang auf den Beinen. Ob Sonntags, Feiertags oder Ferienzeit, es wurde ohne Unterlass durchgearbeitet, um der Bevölkerung zu helfen. Gott sei Dank hatten wir nach ein paar Tagen wieder Strom und Telefon. Manche Orte waren jedoch nach wie vor nach ohne elektrische Energie, obwohl Feuerwehr und Militär half, die Leitungen von umgeknickten Bäumen zu befreien, geht es doch recht langsam voran. Man rechnet noch mit 2 Wochen, bis alle Orte wieder vorläufig mit Strom versorgt sind. Die Erneuerung der zerstörten Oberlandleitungen wird wohl noch länger benötigen.

In allen Haushalten mit längerem Stromausfall sind die Vorräte in den Kühltruhen verdorben. Welch ein Schaden, sind doch die Kühltruhen der moderne Kornboden eines jeden Hauses. Doch immer wieder gibt es einen neuen Anfang und neuen Arbeitswillen, um über die schweren Stunden hinaus zu kommen. Das Leben geht schließlich mit neuen Aufgaben und Sorgen weiter. Es gibt aber auch große Freude. Zum Beispiel haben die Arbeiter in einer Möbelfabrik einen Tag lang unbezahlt gearbeitet, um mit diesem Geld Möbel für die Schule zu stiften. Eine lobenswerte Tat der Nachbarschaftshilfe. Auch kam es vor, dass Nachbarn, die sich ansonsten bald nicht mehr kannten, untereinander halfen. Hierdurch sind neue Kontakte entstanden, und man ist erstaunt, wie viel Menschlichkeit im Umgang mit Leuten in Not zutage tritt, die ansonsten im normalen Alltag im Hintergrund steht.

Derzeit steht uns noch eine große Ebbe und eine große Flut bevor. Alle Vorbereitungen sind getroffen, um die Menschen zu beherbergen und zu ernähren, sollten die Dämme nach den notdürftig durchgeführten Reparaturarbeiten nicht halten. 5 Tage lang hatten Freiwillige sich an den gefährdeten Bereichen abgewechselt, um Deichbrüche zu verhindern. Am 23.01.01 war alles ohne große Probleme vorüber. Es gab keine neuen Überraschungen. Gott sei gedankt.

Agnes Kern (Loirac)